„Die Menschwerdung Gottes ereignet sich – trotz Corona“ – WAZ-Interview mit Propst Wichmann

Artikel auf WAZ-Online vom 25.12.2020 von Michael Bresgott:

Die Corona-Pandemie hat das öffentliche Leben über Wochen und Monate vielerorts nahezu still stehen lassen. Brauchen wir da überhaupt noch ruhige und besinnliche Weihnachtsfesttage?

Ich möchte den Stillstand des öffentlichen Lebens, verursacht durch eine Pandemie, ungern mit der besinnlichen Weihnachtszeit zusammen lesen. Nicht jede Ruhezeit ist ja automatisch Besinnungszeit. Ruhe benötigt Gestaltung und Rituale, um besinnlich zu werden. Und außerdem haben wir ja nicht wirklich eine Wahl, weder das Weihnachtsereignis nimmt Rücksicht auf Corona, noch nimmt Corona Rücksicht auf Weihnachten. In der Heiligen Nacht wird Gott Mensch, das können wir nicht verschieben. Daher liegt es jetzt an uns, dass die Festtage auch wirklich besinnlich werden – trotz aller Einschränkungen.

Immer mehr Fernreisen, immer mehr Globalisierung, immer mehr Konsum – Corona hat all das vorerst gestoppt. Bietet die Pandemie eine Chance zu Neubesinnung und neuer Genügsamkeit?

Ich finde es grundsätzlich schwierig, eine weltweite Pandemie als „Chance“ zu verstehen. Dazu sind, meiner Meinung nach, zu viele Menschen von dem Virus betroffen bzw. an ihm gestorben. Aber ich glaube schon, dass manche „Werte“ in den letzten Monaten wieder neu in den Fokus gerückt wurden: Solidarität, Freiheit, Gesundheit, Demut, Gemeinschaft, Mitmenschlichkeit, Familie, Freundschaft oder auch Genügsamkeit. Die Chance liegt für mich jetzt darin, dass diese Lebenshaltungen nach der Pandemie nicht direkt wieder in Vergessenheit geraten.

Hat die Corona-Pandemie die Kirchen und die Gemeinden als Versammlungs- und Kommunikationsorte eher gestärkt oder eher geschwächt?

Das ist schwierig zu beantworten. Wie so häufig gibt es auch da Gewinner und Verlierer. Der traditionelle Gottesdienstbesuch ist sicher vielerorts zurückgegangen. In St. Pankratius haben wir zumindest versucht, neue Formen der Kommunikation gemeinsam zu entdecken. Das kostet viel Zeit und Kraft, aber langsam gehören zum Beispiel Videokonferenzen zur Normalität. Außerdem wird unsere Website viel stärker als „Verkündigungsort“ genutzt – für Impulse, Hausgottesdienste oder ein Krippenspiel. Aber sicher ist auch, dass unsere Gemeinden von den realen Begegnungen leben. Digitale Kommunikation hat Grenzen. Menschen brauchen Nähe und Berührung, ein wirkliches Gegenüber.

Hat die Seelsorge als zentrale Aufgabe eines Pfarrers im Corona-Jahr 2020 eine Renaissance erfahren?

Ich würde eher sagen, dass wir – als Seelsorgerinnen und Seelsorger – unsere Arbeit ein Stück neu erfinden mussten bzw. durften. So sind unzählige kreative Ideen und neue Projekte entstanden, wie zum Beispiel das Hoffnungslicht im Fenster. Viele – auch ehrenamtlich Engagierte – sind über sich hinausgewachsen. Das begeistert mich bis heute. Ich habe unsere Kirche noch nie so erfinderisch und vielfältig erlebt wie in den letzten Monaten.

War das Corona-Jahr 2020 für ältere Menschen besonders schwer?

Im letzten Jahr ist meine Oma verstorben. Sie hat im Haus Marienfried in Gelsenkirchen gelebt, einem wunderbaren Altenheim. Ich habe mich in den letzten Monaten oft gefragt, wie meine Oma und auch wir als Familie die Corona-Zeit mit allen Einschränkungen überstanden hätten. Gerade die älteren Menschen in den Pflegeeinrichtungen leben ja schon isolierter, verlieren frühere Kontakte und können nicht mehr so selbstverständlich wie vorher am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Die Einschränkungen im Lockdown waren und sind da, aus meiner Sicht, doppelt hart – für alle Beteiligten.

Was sind Ihre Wünsche für 2021?

Der Engel mit dem großen himmlischen Heer ruft uns im Weihnachtsevangelium zu: „Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade.“ Das ist die kürzeste Weihnachtspredigt aller Zeiten und ein Wunsch, der mir immer wichtiger wird: Shalom. Frieden.

Christoph Wichmann

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